"Die Katze und der General" von Nino Haratischwili





"Die Katze und der General" von Nino Haratischwili wurde im August 2018 von der Frankfurter Verlagsanstalt herausgegeben. 

Nach dem epischen Meisterwerk "Das Achte Leben. (Für Brilka)", wurde das neue Buch der georgisch-deutschen Autorin heiss ersehnt - und wir wurden nicht enttäuscht!

    Es geht um eine Schauspielerin, die einem toten Mädchen zum Verwechseln ähnlich sieht, einem General, der ein Kriegsverbrechen aufklären will, in das er selbst verwickelt war und um einen Journalisten, der sich hartnäckig in die Geschichte verbeisst und sich selbst immer stärker darin verwickelt.

    Katze, eigentlich Sesili, eine nicht allzu erfolgreiche Schauspielerin, hat in ihrer Kindheit den Krieg in Georgien erlebt, der ihren Vater zu einem unnahbaren 'Riesen' hat werden lassen.
Nach einer Nahtoderfahrung, durch diesen verursacht, flieht ihre Mutter mit ihr und ihrer kleinen Schwester nach Deutschland.
Die Umstellung fällt schwer, aber sie gewöhnen sich ein und finden ihre eigene Gemeinschaft unter anderen in Berlin lebenden Sovjets.
Das Gefühl der Heimatlosigkeit, der fehlenden Identität und das Bewusstsein, das Leben kann jederzeit vorbei sein, bleiben jedoch an ihr haften.

    Nach einer ihrer Aufführungen im Theater wird sie von einem Vertreter des Generals dazu angeworben, sich der Rolle eines toten Mädchens anzunehmen, der sie zum Verwechseln ähnelt.
Der General, eigentlich Alexander Orlow (früher Malisch), ist ein Soldatensohn, der im Schatten seines gefallenen Vaters aufwuchs, mit einer Mutter, die fanatisch versucht, ihm den Karriereweg seines Vaters aufzuzwingen.
Er ist hochbegabt, wird als Kind von Gleichaltrigen (Proletariatskindern) verprügelt und wird als Jugendlicher und junger Erwachsener von Selbstzweifeln geplagt in der Zeit nach Perestrojka und Trennung seiner Jugendliebe.
Als der Tscheschenienkrieg ausbricht, meldet er sich (trotz abgebrochener Militärausbildung) freiwillig als Soldat, um seine erste Liebe dazu zu bewegen, zu ihm zurückzukehren und verlässt somit seinen selbstgewählten Weg des Studiums der Literatur.
Im Krieg unternimmt er die Verwandlung zum 'General', als er Zeuge und Mitwirkender eines brutalen Verbrechens an einem einheimischen Mädchen wird.
Er zeigt sich und die Mitbeteiligten daraufhin selbst an und kommt ins Gefängnis.
Als er jedoch realisiert, dass es keinen fairen Prozess mit gerechtem Ausgang geben wird, entscheidet er sich dazu, das System zu seinen Gunsten auszunutzen und arbeitet sich zu einem der erfolgreichsten Unternehmer mit scheinbar unbegrenztem Einfluss hoch.
Als seine Jugendliebe stirbt, zieht er seine Tochter Ada allein gross.



Diese verliebt sich als junge Erwachsene in Onno, der als Journalist versucht, dem damaligen Verbrechen ihres Vaters auf die Spuren zu kommen.
Ada war mir unfassbar unsympathisch, weil sie einerseits unglaublich naiv ist, sich andererseits aber als über den Dingen stehend sieht. Sie gesteht anderen Menschen keine Fehler ein und steigert sich in Wahnvorstellung rein, die ihr Trugbild von der Welt zerstören würden.

    All diese Handlungsstränge werden im Laufe der Geschichte zusammengeführt.
Der General will Katze dazu benutzen, seinen Mitschuldigen ihre gerechte Strafe zu erteilen und Onno soll alles dokumentieren und die Wahrheit über das Geschehene ans Licht bringen.


Die zentralen Themen sind:  
- Die Schuldfrage im Krieg. Wieviel Schuld trägt das Individuum an seinen Taten und Verbrechen?
- Wie berechtigt ist Selbstjustitz? 

- Ereignisse, nach denen man nicht mehr so weiterleben kann, wie zuvor, die das Leben in ein davor und in ein danach teilen. 
- Was es bedeutet, ein Erste-Generation-Migrant zu sein. Wenn die zurückgelassene Heimat auf einmal nostalgisch betrachtet wird und positiver erscheint und man sich doch in der neuen zurechtfinden muss. 



 

    Haratischwili hat einen wahnsinnig fesselnden Erzählstil, sodass die verschiedenen Geschichtsstränge verständlich werden und Individuen-bezogen bleiben.
Man fühlt die gesamte Zeit des Lesens ein manchmal unterschwelliges, manchmal dominanteres Unbehagen, das von wunderbar authentischen Charakteren und berauschender Sprache getragen wird.
Sie versteht es, den Leser komplett für ihre Geschichte zu vereinnahmen und emotional aufzubrechen.

    Das Einzige, was sich mir nicht erschlossen hat, ist 'Die Nacht des Horrors', in der das Kriegsverbrechen an Nura begangen wird.
Es war für mich unglaubwürdig und ich hab mich manipuliert gefühlt von der Autorin. 
Nicht von der Handlung an sich, sondern von den Reaktionen der Charaktere:
Das Trio (Schujew, Zaika, Petruschew) war so zaghaft, während sie andere schon so gequält hatten und sie im Krieg sind seit geraumer Zeit. Es ist schwer zu glauben, dass Nura das erste Vergewaltigungsopfer ihrer sein soll. 
Auch hab ich mich durch Aljoschas Charakterumschwung und Nuras anerkennenden Blick dafür manipuliert gefühlt, als ob die ganze Situation (und seine Verliebtheit in sie bzw sein Charakter an sich) nur dadurch im Nachhinein Bedeutung bekommen sollte.

Ansonsten ist es rundum ein gelungenes Buch, das ich jedem empfehlen würde zu lesen!

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